von A. Siebrandt
Der deutsch-französische Historiker und Politikwissenschaftler Alfred Grosser war eine prägende Persönlichkeit in den deutsch-französischen Beziehungen. Er verstarb am 7.Februar kurz nach seinem 99. Geburtstag. Für unsere Schule hat er eine ganz besondere Bedeutung.
Das Verhältnis zwischen beiden Ländern war das Lebensthema des Europäers, dessen Biografie von den Brüchen des 20.Jahrhunderts besonders gekennzeichnet war. Er wurde 1925 in Frankfurt geboren und floh bereits 1933 vor dem Hitler-Regime mit seiner Familie nach Frankreich. Als die Nazis dann Frankreich besetzten, das Vichy-Regime die Judenverfolgung mitorganisierte und deutsche Flüchtlinge auszuliefern drohte, fand die früh verwitwete Mutter mit beiden Kindern Zuflucht in Südfrankreich.
Auch wenn er sich eindeutig als Franzose fühlte, hat die doppelte Identität sein Leben und sein besonderes politisches und gesellschaftliches Engagement bestimmt. Schon bald nach seinem Germanistikstudium in Aix-en-Provence unternahm Grosser bereits 1947 eine erste Reise in das besiegte und zerstörte Deutschland.
Im Laufe der Jahre werden ihm viele Ehrungen zuteil. 1975 erhält er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels für seine Rolle als „Mittler zwischen Franzosen und Deutschen, Ungläubigen und Gläubigen, Europäern und Menschen anderer Kontinente“. 2019 bekommt er von Präsident Emmanuel Macron das Großkreuz mit Stern und Schulterband der Ehrenlegion.
Cornelia Woll, Professorin des Alfred-Grosser-Lehrstuhls an der Pariser Schule für Politikwissenschaft Sciences Po, hat ihren Ex-Mentor folgendermaßen gewürdigt: „Wir verlieren einen der Größten. Von Frankfurt bis Paris hat niemand so sehr unsere Vision der deutsch-französischen Versöhnung geprägt wie er.“
2017, anlässlich des 60-jährigen Bestehens des ältesten deutsch-französischen Schüleraustausches mit dem Lyceé Dupuy-de-Lome in Lorient (Bretagne) war auch Alfred Grosser in unsere Schule eingeladen. In beindruckender Weise sprach der Publizist vor den Französisch-Kursen und konnte alle Besucher und Zuhörer mit seinem Lebensmut, mit seiner bescheidenen Ausstrahlung, seinen politischen Botschaften und Lebensweisheiten in den Bann ziehen.
Bei dieser Einladung präsentierte Grosser auch sein neues lesenswertes Buch „Le Mensch – Ethik der Identitäten“, in dem er ein ganz deutliches Plädoyer für mehr Toleranz artikuliert. Er beklagt als ein Grundübel gegenwärtig geführter Diskurse die Vorliebe zu Verallgemeinerungen. Geurteilt wird über die Deutschen, die Muslime, die Isrealis, die Juden usw. und dabei wird – nach Grossers Auffassung – zu wenig differenziert.
Bei Interesse lässt sich der damalige Besuch von Alfred Grosser an unserer Schule in dem folgenden Artikel noch einmal nachlesen: „Ich bin alt und nicht jung! Ich bin Mann und nicht Frau! – Verschiedene Identitäten erfordern Perspektivwechsel. Besuch von Alfred Grosser am CFG