Text und Bilder von M. Loeper und L. Sellin
Wie soll man darüber sprechen, was unaussprechlich erscheint? Wie soll man damit umgehen, was in
der Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit unumgänglich ist? Wie vermittelt man
jungen Menschen im 21. Jahrhundert die Geschichte der Shoah, also des Massenmords an den Juden
in Europa unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft?
Ausgehend von dieser Fragestellung begaben sich 15 Geschichtsstudierende und 25 Schülerinnen und
Schüler des CFG vom 18. bis 24. August 2023 auf eine knapp einwöchige Gedenkstättenfahrt nach
Auschwitz und Krakau. Das Projekt stellt eine einzigartige wie modellhafte Kooperation zwischen dem
Arbeitsbereich Geschichte und ihre Didaktik der Bergischen Universität Wuppertal und der Fachschaft
Geschichte des Carl-Fuhlrott-Gymnasiums dar. Geplant, organisiert und begleitet wurde die Fahrt von
Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Juliane Brauer und ihrem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dario Treiber in
Zusammenarbeit mit den CFG-Lehrkräften Max Loeper und Lukas Sellin.
Von universitärer Seite waren dabei anderthalb Jahre der Vorbereitung vorangegangen. So wurden die
teilnehmenden überwiegend Lehramtsstudierenden in mehreren Veranstaltungen über ein ganzes
Semester hinweg theoretisch und methodisch auf die Arbeit mit den Jugendlichen vorbereitet. In
einem Seminar konzipierten sie in Kleingruppen fünf verschiedene Workshops, die den Schülerinnen
und Schülern bei der Exkursion zur Auswahl gestellt wurden. Dabei entstanden unterschiedliche
Formate, vor allem die produktive und selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit dem Thema in den
Vordergrund stellen:
Ein Workshop verwendete die innovative Methode des Digital Storytelling, d.h. sie nahmen selbst
Fotos auf, arbeiteten mit Quellen in Form von digitalisierten Interviews, Fotos, Texten
unterschiedlichster Art oder Zeichnungen. „In unserem Workshop werden die Schülerinnen und
Schüler zu Geschichtenerzählerinnen und -erzählern. Sie identifizieren für sie persönlich bedeutsame
Orte in den Gedenkstätten und artikulieren ihre Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit diesen
Orten, indem sie multimediale Videobotschaften erstellen“, beschreibt Student Luca Sporkmann das
Konzept seines Workshops. Eine andere Gruppe beschäftigte sich mit Fotografien, sowohl mit
historischen Fotografien aber auch mit Fotografien, die die Jugendlichen während der Führungen
selber aufgenommen hatten, um verschiedene Perspektiven auf den Ort sichtbar zu machen. Wieder
andere arbeiteten biographisch mit Lebensläufen Wuppertaler Jüdinnen und Juden, deren Namen auf
den sogenannten Stolpersteinen in der Wuppertaler Innenstadt verewigt wurden. „Wir wollten diese
Biografien, wie z.B. die der Familie Wahl erforschen, deren Angehörige zum Teil in Auschwitz ermordet
wurden. So erfahren die Jugendlichen anhand individueller Schicksale einen Lokalbezug und entwickeln
dabei eigene Formen des Gedenkens“, ergänzt Geschichtsstudent Matthis Kuhlmann. Eine weitere
Gruppe arbeitete mit Musik, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern eine wichtige Funktion
hatte, denn sowohl im Männerlager Birkenau, als auch im Frauenlager, gab es jeweils ein Orchester. In
einem letzten Workshop erstellten die Teilnehmenden mit Hilfe von Augmented Reality eine virtuelle
Führung durch die Gedenkstätte.
Auf schulischer Seite bewarben sich Schülerinnen und Schüler im zweiten Halbjahr der Jahrgangsstufe
9 mit aussagekräftigen Motivationsschreiben, aus denen ein hohes persönliches Interesse sowie die
außerordentliche Bereitschaft zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema deutlich wurden. Die
Zahl an Bewerberinnen und Bewerbern zeigte einerseits, wie viele Jugendliche am CFG sich für eine
vertiefendes Lernen mit, über und an Geschichte begeistern. Andererseits konnten dadurch leider nicht
alle Interessierten mitgenommen werden.
Nach der anstrengenden, knapp vierzehnstündigen Anreise von Wuppertal im Reisebus freuten sich
die Teilnehmenden über die Annehmlichkeiten der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in
Auschwitz / Oswiecim, die für die gesamte Zeit als Unterkunft diente. Dort erhielt die Gruppe eine
ausgezeichnete Vollverpflegung, bei der sie kulinarische Köstlichkeiten der polnischen Küche
kennenlernte, wie z.B. Bigos (deftiger Krauteintopf), Kotlet Schabowy (Schnitzel polnischer Art) oder
verschiedene Surowki (polnische Rohkost). Die Arbeit in den insgesamt fünf Workshop-Phasen erfolgte
in den gut ausgestatteten Tagungsräumen der Begegnungsstätte, die jeweils nach Überlebenden
benannt sind. Zusätzlich wurde von Seiten der Schule digitales Equipment wie iPads und Beamer
bereitgestellt.
Bevor nachmittags in den Workshops reflektiert, geplant und an den selbstgewählten Projekten
getüftelt wurde, besuchte die Reisegruppe an den Vormittagen geschlossen die Gedenkstätten und das
Museum Auschwitz I (Stammlager) und Auschwitz-Birkenau (Konzentrations- und Vernichtungslager).
Dort wurden diese zentralen Orte der Shoah im Rahmen gebuchter Führungen mit professionellen
Guides erkundet, Informationen gesammelt und Fragen gestellt. Zusätzlich konnten die Schülerinnen
und Schüler zur weiteren Recherche während der Workshops in Kleingruppen individuelle Begehungen
der Gedenkstätten durchführen. Dies war dank des Reisebusses und dessen hilfsbereitem Fahrer Herrn
Noch, welcher der Gruppe für die gesamte Dauer der Fahrt zur Verfügung stand, unkompliziert möglich.
Am Dienstag fand zusätzlich ein Tagesausflug nach Krakau, der zweiten Hauptstadt Polens und einer
Stadt mit einer sehr beeindruckenden Geschichte, statt. Dort besichtigte die Gruppe zunächst
selbstständig die Altstadt und das Schloss Wawel mit dem Drachen als Symbol von Krakau. In
Kooperation mit dem Krakauer Museum wurden am Nachmittag in einer zweistündigen Führung durch
das jüdische Stadtviertel Kazimierz und die Alte Synagoge – heute ein Museum – erkundet. Auf diese
Weise erhielten die Teilnehmenden Einblicke in die reichhaltige jüdische Kultur Krakaus und deren
Alltagsleben vor Beginn des nationalsozialistischen Terrors.
Die Atmosphäre während der gesamten Fahrt war geprägt durch die herausragende Motivation aller
Teilnehmenden, sich auf den selbstgewählten Pfaden des Gedenkens und Erinnerns mit dem Thema
auseinanderzusetzen, das im regulären Unterricht oft nur schwierig zu vermitteln ist. Diese
außergewöhnliche Lernsituation ließ sich den Jugendlichen deutlich anmerken: „Die Teilnahme an der
Fahrt war für mich eine einmalige Chance, da ich diesen historischen Ort in einer Gruppe erkunden
konnte, die ausschließlich aus interessierten Menschen bestand“, kommentiert Lutz Bernhardt (10f).
Gleichzeitig bot das Freizeit- und Abendprogramm Spaß und Abwechslung abseits der bedrückenden
Geschichte. So wurden neben Laufen, Tischtennis und Basketball gerne in kleiner und großer Runde
Gesellschaftsspiele gespielt, diskutiert und viel gelacht – oft auch zusammen mit den Studierenden.
Schüler Shant Edgarian (10b) drückt es so aus: „Ich fand das Setting der Fahrt gut, da die gemeinsame
und selbstständige Arbeit in den Workshops und das anschließende Freizeitprogramm mit Spielen,
Sport und Bewegung einen Gegensatz zu den sehr düsteren und traurigen Eindrücken in der
Gedenkstätte bot. Das hat es mir leichter gemacht, damit umzugehen.“ Gerade die Arbeit und der
Austausch mit den Studierenden – eine ungewohnte Situation – wurde von den Schülerinnen und
Schülern als bereichernd empfunden. „Ich würde die Fahrt jedem weiterempfehlen, der sich für
Geschichte interessiert. Ich persönlich finde es sehr wichtig, sich mit der Shoah eingehend
auseinanderzusetzen. Die Arbeit in den Workshops hat mir auch Spaß gemacht, weil ich durch den
Austausch und das Gespräch mit den Studierenden auch meine eigenen kommunikativen Stärken
weiter verbessern konnte. Ich habe hier viel gelernt!“, fasst Cosima Bockmühl (10c) ihre Erfahrungen
zusammen.
Ein ganz besonderer Dank git dem Verein der Freunde des CFG, dem Förderprogramm
Bildungspartner.nrw, der Sanddorf-Stiftung, der Sparkassen-Stiftung sowie der Fakultät I der
Bergischen Universität, welche die Fahrt finanziell unterstützt haben. Dadurch konnten die Kosten für
eine Fahrtteilnahme erheblich gesenkt und ein hochwertiges Bildungsangebot zu fairem Preis für alle
Interessierten ermöglicht werden.
Nach den bewegenden und sicher unvergesslichen Eindrücken dieser intensiven Woche ist den
Organisatoren von Uni und CFG klar: Diese Fahrt soll nicht die letzte gewesen sein! Die Überlegungen
für eine weitere Kooperation laufen bereits. Aber auch den Jugendlichen war es ein Anliegen, ihre
Erkenntnisse und Erfahrungen öffentlich zu machen. So stellten sie die vielfältigen Exponate und
Produkte ihrer Workshops zu einer multimedialen Ausstellung zusammen, die auf dem anstehenden
Schulfest „CFG-Tag“ am 2. September besucht werden kann.
Der Philosoph George Santayana mahnte, dass diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern,
dazu verdammt seien, diese zu wiederholen. Auf der Rückfahrt im Bus sind die Teilnehmenden müde,
die Stimmung nachdenklich. Aber alle sind sicher, Santayana würde heute beruhigt sein.