Text von A. Kroll, Fotos von J. Redetzky
Im schlichten Leinengewand entsteigt Nathan (Thilo Matschke) seinem Reisekoffer, der ihn auf magische Weise nach einer längeren Geschäftsreise zurück nach Jerusalem brachte. Seine Tochter Recha (Aless Wiesemann) empfängt ihn ausgelassen in vertrauter Tändelei und nimmt sogleich die mitgebrachten weißen Schuhe und den darin für sie verborgenen Schmuck entgegen. Wortlos verstehen sich Vater und Tochter, spielerisch und neckend gehen sie miteinander um. Der Koffer wird zur Schatztruhe, die den Reichtum des jüdischen Vaters spiegelt, dann zum vertrauten Rückzugsort, an dem Recha Nathan offenbart, wie sie von einem Engel aus dem brennenden Haus gerettet wurde. Ohne große Belehrungen lässt Nathan offen, ob er ihrer schwärmerischen Engelsfantasie glaubt.
Dem Tempelherrn, der Recha tatsächlich aus dem Feuer rettete, geht das Mädchen nicht mehr aus dem Kopf, und auch sie folgt ihm, gemeinsam mit dem Vater, um sich für die Rettung zu bedanken. Doch Zutritt in das Haus, dessen symbolische Grenze eine Lichterkette bildet, erhält er erst nach und nach. Schließlich gestehen sich beide ihre Liebe.
Derweil geht dem Sultan (Raphael Batzik) – vor lauter Schachspielen? – das Geld aus und seine raffinierte Schwester Sittah gibt ihm den Plan ein, doch den vermögenden und weisen Nathan als Quelle neuer finanzieller Mittel zu nutzen. Nicht ohne Grund setzt sie die schwarzen Figuren, die erbeutete weiße Figur des Bruders wird mal hinter dem Rücken verborgen, dann wieder offen angriffslustig als Waffe geführt.
Als zweite starke Frauenfigur wird sich Recha selbst innerhalb eines Monologs ihrer Situation bewusst: sie ist als Christin von einem jüdischen Vater aufgezogen worden, der ihr eine glückliche Kindheit bescherte. Wie der Derwisch zuvor streift sie aufgebracht durch das Publikum. Der Patriarch, der den Tod Nathans für seinen Frevel fordert, könnte mitten unter uns sein.
Die titelgebende Figur des Nathan tritt durch die Aufwertung Rechas in den Hintergrund. Statt als weiser Mann der Belehrung aufzutreten, setzt er sich lieber als stiller Beobachter in die letzte Reihe. Ganz nach dem Motto: Reden ist Silber, doch Schweigen ist Gold. Erst ganz am Ende findet er seine Worte wieder, als der Sultan ihm durch die Frage nach der einzig wahren Religion keine andere Wahl mehr lässt. Leise und fast lustlos trägt Nathan die berühmte Ringparabel vor, die hier weniger den Höhepunkt, als den überraschend früh gesetzten Schlusspunkt des Stückes bildet.
Ebenso wie die Figuren müssen sich die Zuschauer selbst ihres Verstandes und der aus dem Unterricht erworbenen Kenntnisse bedienen, um ihre Schlüsse aus den Wirrungen des Stückes zu ziehen, in dem die Szenen und Textbausteine neu und stark gekürzt zusammengesetzt wurden. Ganz nach dem Leitspruch der Aufklärung: Sapere aude!
Im Anschluss stellten sich die drei Schauspieler den durchaus kritischen Fragen der Schülerinnen und Schüler zu den Inszenierungsentscheidungen.